Nachdem nun der Handel erste Schritte in die (neue) Normalität geht, werden auch in anderen Bereichen neue Projekte starten. Die bisherigen baurechtlichen Fachkommentare haben sich hauptsächlich mit dem Einfluss der Pandemie auf bestehende Werkverträge befasst. Nachstehende Überlegungen betreffen demgegenüber Probleme und Risiken beim Abschluss von neuen/künftigen Verträgen.
Das Problem
Mehrfach wurde darauf hingewiesen, dass höhere Gewalt – zB Pandemie – juristisch der „neutralen Sphäre“ zuzuordnen wäre. Je nachdem, ob dem Vertrag die ÖNORM B 2110 zugrunde liegt oder nicht, liegt dieses Risiko entweder beim AG (ÖNORM) oder beim AN (ABGB). Diese Aussage bezieht sich zunächst nur auf bereits bestehende Verträge, die wegen der geänderten Rahmenbedingungen der Leistungserbringung anzupassen sind.
Gilt dies auch für noch nicht geschlossene Verträge? Wen treffen welche Risiken bei bereits (vor COVID-19) bekanntgemachten Ausschreibungen, wenn nun ein Angebot zu legen ist?
Das Kalkulationsrisiko
Die ÖNORM B 2110 ordnet „alle vom AN auf Grundlage der Ausschreibungsunterlagen zur Preisermittlung und Ausführung getroffenen Annahmen“ der Sphäre des AN zu. Auch nach dem ABGB liegt das Kalkulationsrisiko grundsätzlich bei demjenigen, der das Angebot erstellt und unterbreitet, also dem späteren AN.
Der Angebotsinhalt
Nach manchen Meinungen, können mittlerweile die Auswirkungen der Pandemie auf Bauleistungen – zumindest ansatzweise – überblickt werden. Es besteht dabei die Gefahr, dass aktuelle Angebote so verstanden werden, dass auch die pandemiebedingten Erschwernisse darin eingepreist sind. Dagegen könnte man einwenden, dass die weiteren Entwicklungen und möglichen Beschränkungen nicht mit notwendiger Genauigkeit feststehen, um darauf eine Kalkulation aufbauen zu können. Schließlich sprechen wir auch gegenwärtig immer noch von vorherrschenden Umständen höherer Gewalt. Das damit verbundene Risiko übernimmt ein Anbieter im Regelfall nur bei ausdrücklicher Vereinbarung (Force-Majeure-Klauseln).
Dieses Spannungsfeld gilt es bei Abschluss von Werkverträgen zu berücksichtigen und klarstellende Regelungen zu finden. Auf Seiten der Anbieter wird zB klarzustellen sein, dass das Angebot freibleibend bzw. widerruflich ist. In diesem Fall kann ein einmal abgegebenes Angebot (bei geänderten Verhältnissen) wieder zurückgezogen werden. Es ist auch anzudenken, genau darzulegen auf welchen Annahmen die Kalkulation aufbaut (offene Kalkulation), um bei abweichenden Entwicklungen zumindest noch eine (Irrtums-) Anpassung des Vertrages versuchen zu können.
Das Vergaberecht
Besonders problematisch ist die Situation jedoch bei öffentlichen Ausschreibungen, da hier der Bieter mit abweichenden Erklärungen oder Vorbehalten das Ausscheiden seines Angebotes riskiert. Hier scheint es angezeigt, den AG zu einer schriftlichen Klarstellung vor Angebotsabgabe aufzufordern. Wird dabei auf das Kalkulationsrisiko des Bieters verwiesen, kann dies zu hohen Preisdifferenzen und damit nicht vergleichbaren Angeboten führen. Aber: Natürlich hat dabei der (unbewusst oder leichtsinnig) günstige Billigstbieter im Wettbewerb zunächst die Nase vorne. Wenn COVID-19 aber noch länger für Behinderungen sorgt, kann er am Ende auch einen Kopf kürzer sein.