Besteht das Recht zur Werklohnsicherstellung auch dann, wenn bis auf den Haftrücklass das vereinbarte Entgelt bezahlt wurde? Entspricht eine Garantie der Muttergesellschaft den Anforderungen des § 1170b ABGB?

Die vor mehr als 15 Jahren eingeführte Werklohnsicherstellung gemäß § 1170b ABGB hat mittlerweile in der Praxis schon einige Fragestellungen aufgeworfen. Es handelt sich dabei um ein gesetzliches Sicherstellungsrecht des Bauunternehmers (Auftragnehmers) gegenüber dem Werkbesteller (Auftraggeber). Der Gesetzgeber reagierte mit der Einführung dieser Norm auf den Umstand, dass der vorleistungspflichtige Auftragnehmer einem erhöhten Insolvenzrisiko des Auftraggebers ausgesetzt ist.

Zur Absicherung seiner Werklohnansprüche gewährt die Bestimmung dem Auftragnehmer das zwingende und vertraglich nicht beschränkbare Recht, eine Sicherstellung zu verlangen, welche mit 20 Prozent des vereinbarten Entgelts beschränkt ist. Unterschreitet das noch ausstehende Entgelt diese Grenze, reduziert sich die Höhe der Sicherstellung auf den Betrag des noch ausstehenden Entgelts, wodurch die Sicherstellung betraglich in zweifacher Hinsicht begrenzt wird.

Der Oberste Gerichtshof hat in der Vergangenheit bereits in ständiger Rechtsprechung festgehalten, dass das Recht des Auftragnehmers zur Werklohnsicherstellung bis zur vollständigen Bezahlung des Entgelts besteht. Jüngst hat sich das Höchstgericht nunmehr (3 Ob 28/23y) mit dem Sicherstellungsrecht bei Einbehalt des Haftrücklasses beschäftigt und konkretisiert, was unter vollständiger Bezahlung des Entgelts zu verstehen ist.

Im verfahrensgegenständlichen Fall wurde die Klägerin von der Beklagten mit Bauleistungen bei mehreren Bauvorhaben beauftragt. Aufgrund befürchteter Baumängel hat die Beklagte die vereinbarten Haftrücklässe für die Bauvorhaben zurückbehalten, woraufhin die Klägerin die Werklohnsicherstellung forderte. Nach Ansicht des Obersten Gerichtshofes war sie dazu auch berechtigt, da die Haftrücklässe als Bestandteil des vereinbarten Entgelts anzusehen sind.

Daraufhin hatte sich das Höchstgericht mit der Frage zu beschäftigen, ob dem Sicherstellungsbegehren möglicherweise entsprochen wurde, da die Beklagte der Klägerin nach Aufforderung zur Werkohnsicherstellung vier Garantieurkunden ihrer Muttergesellschaft übermittelte.

Gemäß § 1170b ABGB können als Sicherstellung Bargeld, Bareinlagen, Sparbücher, Bankgarantien und Versicherungen dienen. Es stellt sich die Frage, ob diese Aufzählung als abschließend zu betrachten ist oder nicht. Der Oberste Gerichtshof hat dies nicht endgültig beantwortet, jedoch ausdrücklich festgehalten, dass unabhängig davon der Werkbesteller jedenfalls ein Sicherungsmittel zu wählen hat, das dem Werkunternehmer eine vergleichbare Rechtsposition verschafft.

Das Höchstgericht hat dies bei Garantien der Muttergesellschaft verneint, da hierbei nicht bedenkenlos von einer hinreichenden Liquidität des Sicherungsgebers ausgegangen werden kann. Anders verhält es sich bei einer Bankgarantie, da Banken einem strikten Aufsichtsregime unterliegen.

Aus diesen Gründen erfolgte die Vertragsaufhebung der Klägerin zu Recht und wurde der Klage auf Zahlung des restlichen Werklohns in Höhe der Haftrücklässe stattgegeben.

Für Rückfragen stehen unsere Baurechtsrechtsexperten Mag. Bernhard Scharmüller und Mag. Dr. Mario Höller-Prantner gerne zur Verfügung.